Dienstag, 18. März 2014

Datenkraken vs. Papiertiger - was tut man nicht alles für ein wenig Buzz?

Und eines Tages begab es sich, dass ein ehrwürdiges Wirtschaftsmagazin seine Auflage steigern wollte. Und so ward ein Artikel geschrieben, der das Potential hatte, für die gewünschte Steigerung zu sorgen.

So oder ähnlich wird wohl dereinst das Märchen der Entstehungsgeschichte zum Artikel Die kurzen Arme der Datenkraken aus BrandEins 02/2014 eingeleitet werden, falls jemand die Zeit aufwenden will, dieses Märchen zu schreiben.

Die Inhalte dieses Artikels sind schnell zusammengefasst. In der Einleitung werden ein paar Behauptungen der Onlinemarketing Branche mit Werbeumsätzen - also Fakten - verwurschtelt und mit der Behauptung garniert, dass sich Branchenvertreter in vertraulicher Runde ebenfalls enttäuscht zeigen würden.
Um dann daraus ab zu leiten, dass Onlinewerbung nicht funktioniert, die Versprechen allesamt falsch oder mindestens überzogen waren. 

Aus dieser Einleitung zieht der Autor die Legitimation, mit sieben Antworten - alle aus dem Buch Der digitale Tsunami des Beraters Nicolas Clasen - nicht nur das Wörter-Minimum zu erreichen, sondern auch genug Raum zu haben, um dar zu legen, dass Online-Marketing nicht funktioniert. Dahinter kann doch nur der Wunsch nach Buzz durch eine gezielte Provokation stehen.


Svenja Teichmann stellt in ihrer Reaktion auf diesen Artikel unter anderem fest, dass ein Vergleich der Werbeeinnahmen ("Display- und Video-Ads" vs. "der Rest") kein brauchbarer Indikator für die Beurteilung des Erfolgs von Online-Marketing ist. Tim Riepenhausen führt in seinem offenen Leserbrief zehn Fehler und Unwahrheiten auf, die sich im Wesentlichen darauf beziehen, dass Äpfel mit Birnen verglichen werden; wie beispielsweise die Anwendung von Modellen der Prä-Internet-Ära (1981) auf die neuen Möglichkeiten der Online-Werbung.

Ich bin ebenso wenig ein Freund von Bannern, wie von Print-Anzeigen oder TV-Spots - der Großteil ist entweder schlecht gemacht oder nicht für mich gemacht und bietet mir daher keinerlei Mehrwert. Und ich erlaube mir die Behauptung, dass es vielen ebenso geht. Irrelevante Werbung nervt. Aber: Relevante Werbung kann mich zu einer Reaktion animieren. Nicht selten bin ich sogar erfreut, durch eine Werbung auf ein Produkt oder eine Dienstleistung aufmerksam gemacht zu werden. 

Ja, zugegeben, ganz so rational verhält es sich in der Realität nicht. Werbung hat Effekte, die das schnelle, instinktive und emotionale  Denken, das sogenannte System 1 beeinflussen und nicht nur das langsame, logischere sog. System 2 des Denkens (vgl. Kahnemann 2011). Doch diese Effekte treffen sowohl auf On- wie Offline Werbung zu und können deshalb an dieser Stelle vernachlässigt werden.

Somit geht es letzten Endes vor allem darum, die richtige Werbung an die richtige Person (zum richtigen Zeitpunkt) zu bringen; schauen wir uns doch mal an, wie das jeweils funktioniert.

In der Offline-Welt geht das sehr indirekt. Publikation A wird von Menschen von Typ X gelesen. Um 19:58 Uhr sitzen Menschen vom Typ Y vor dem Fernseher. Welche Ziele, Bedürfnisse und Wünsche diese haben - generell und in der konkreten Situation -, bleibt vollkommen außen vor. So sitzen meine Frau und ich zwar durchaus manchmal kurz vor den ARD Nachrichten vor der Flimmerkiste - dass wir beide relevante Werbung entdecken kommt aber nur alle paar Schaltjahre mal vor.

Klar, die gleichen Mechanismen und Modelle rund um Zielgruppenbestimmung inklusive deren Lücken gibt es in der Online-Welt auch - hier jedoch stellen sie nicht das Ende, sondern den Anfang der Fahnenstange dar. In der Online-Welt kann mir Werbung basierend auf meinem Verhalten gezeigt werden - und für meine Frau übrigens eine Andere, auch wenn wir auf der gleichen Website unterwegs sind. Das möchte ich mal in einem Print-Magazin sehen.
Des Weiteren kann die Werbung direkte und auch wiederum messbare Folgeaktionen einleiten - das 18/1tel am Straßenrand habe ich in der Regel 10 Minuten später wieder vergessen.

Hat mich jener initiale Werbeimpuls zu einer Reaktion veranlasst, geht das Online-Marketing eigentlich erst richtig los. Finde ich "hinter" dem Banner relevanten Inhalt (= Mehrwert), bin ich vielleicht sogar bereit, weitere Informationen von mir Preis zu geben - und idealer Weise (aus Sicht des Werbetreibenden) in einem sog. Lead Nurturing Prozess zu landen. Bin ich das nicht, mache ich mir einen Bookmark oder sonst irgendwas, um mich später nochmal damit zu beschäftigen. 
Wie auch immer - diese Möglichkeiten gibt es in der Offline-Welt nahezu gar nicht, und erst recht nicht messbar.

Dennoch: Da in der heutigen Zeit potentielle Kunden immer eigenständiger agieren, sich auf erheblich breiterer Basis informieren - und zwar mehr und mehr im Internet -, bevor es zu einem persönlichen Kontakt kommt (wenn überhaupt), ist das Online-Marketing ein zentraler Baustein der Werbung der Zukunft.

Die konträre Darstellung von On- und Offline kann man nur als überholt einstufen. Schon vor Jahrzehnten wurde in Studien belegt, dass eine Werbebotschaft idealer Weise mehrfach platziert werden sollte, damit man sich besser an diese erinnert (vgl. Zielske 1959, Politz 1960). Und eben dieses mehrfach erreicht man derzeit vor allem durch eine sinnvolle Verknüpfung von On- und Offline.

Zusammenfassen kann man den BrandEins Artikel nur als irreführend bezeichnen. 

Hat er denn nun wenigstens für den augenscheinlich gewünschten Buzz gesorgt?  Irgendwie auch nicht. Google kennt nur einige wenige Reaktionen, auf der BrandEins Google Plus Seite hat es nur wenige +1 oder Kommentare gegeben. Hoffen wir, dass es nur wenige Entscheider gibt, die, wie Svenja Teichman es formuliert hat, glauben, dass das Internet nur Gedöns sei, und schnell vorbei geht.

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